Bei einem Großteil der historischen Sehenswürdigkeiten Ägyptens handelt es sich um sakrale Bauten, d.h. um Tempelanlagen, Heiligtümer, Totenkultanlagen, Kirchen, Klöster und Moscheen.
Seltener dagegen bekommt man antike oder mittelalterliche Festungen, Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude zu Gesicht. Dieser Umstand liegt in der Verwendung unterschiedlicher Baumaterialen begründet. Sakrale Bauten sind für die Ewigkeit bestimmt. Sie wurden aus unvergänglichen Materialien und mit großer Sorgfalt errichtet. Hierzu wurden Kalkstein und Granit verbaut. Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude dagegen galten als Alltagsgebäude, die erstens schnell und billig mit ungebrannten Lehmziegeln, zweitens in großer Zahl und drittens ausbau- und umbaufähig konstruiert wurden. Hinzu kommt die Tatsache, dass sakrale Bauten in erhöhter Position im Niltal errichtet wurden, wo die Nilflut keine Gefahr darstellt. Die Prominenz der sakralen Bauten unterstreicht die Bedeutung der Religion in Ägypten.
Zu allen Zeiten stand die Geschichte und Gesellschaft Ägyptens im Schatten der jeweils vorherrschenden Religion. Die sakralen Bauten sind die Leitfossilien der ägyptischen Kulturgeschichte. An vielen Heiligtümern, insbesondere an den Tempeln aus der Zeit der Pharaonen, wurde über Generationen gearbeitet. Sie wuchsen im Laufe der Zeit von kleinen Heiligtümern zu gewaltigen Tempelanlagen heran.
So entstanden große Tempelkomplexe, ja sogar eine ganze Tempelstadt wie in Karnak. Jeder Tempel, jede große Kirche und jede bedeutende Moschee war auch ein Fingerabdruck ihrer Erbauer, der Herrscher in ihrer jeweiligen Epoche. Weil frühere Herrscher sich in Form der Heiligtümer monumentale Denkmäler setzten und anhand der Bauinschriften für die Nachwelt namentlich verewigt wurden, waren nachfolgende Generationen bestrebt, es ihnen gleichzutun.Wurden Heiligtümer durch Kriege oder Erdbeben zerstört, verwendete man erhaltene Bauteile, wie z.B. Säulen, als Spolien, um sie in neuen Bauten wieder zu verwenden.
Die ältesten sakralen Bauten Ägyptens stammen aus der prädynastischen und frühdynastischen Zeit, also aus dem späten 4. und frühem 3. Jahrtausend v. Chr. Hierbei handelt es sich zum einen um Grabkultanlagen und zum anderen um kleine Felsheiligtümer. Die meisten Götterkultanlagen und Heiligtümer aus dieser Zeit sind nicht mehr erhalten, weil sie aus vergänglichen Materialien wie Schilf und Papyrus errichtet wurden. Erst im Alten Reich begann man große Tempelanlagen aus Stein zu errichten. Diese Entwicklung hängt eng mit der Entwicklung des Pyramidenbaus zusammen. Ein Paradebeispiel für die Entwicklungsgeschichte monumentaler Kultbauten aus Stein sind die Anlagen von Sakkara, insbesondere im Grabbezirk des Djoser. Die Kultanlagen in seiner Nekropole geben in ihrer Form Schilfhütten und Zelte wieder, die zu jener Zeit anlässlich religiöser Feste und Rituale temporär errichtet worden waren. Im Grabbezirk des Pharao Djoser sind sie nun in Stein festgehalten, gleichsam wie eingefroren.
Mit der Entwicklung der Pyramidenanlagen entstanden auch die Totentempel und Taltempel der Könige. Die klassische Struktur einer kompletten königlichen Pyramiden- und Totenkultanlage während der vierten bis sechsten Dynastie bestand aus einem Taltempel am Ufer eines Kanals oder Sees im Fruchtland, einem überdachten Aufweg und einem großen Totentempel, in dem die Statuen des Königs verehrt wurden. Hier waren in einer zweiten Kultkammer, die direkt an der Pyramide anlehnte, die Scheintür und der Opferaltar für den königlichen Totenopferkult angelegt. Mit dieser Architekturentwicklung entstanden die ersten Säulenkolonnaden mit den typischen Pflanzenkapitellen.
Über die Göttertempel des Alten Reiches weiß man weitaus weniger als über die königlichen Totentempel. Dies liegt daran, dass die meisten Göttertempel in späteren Epochen verändert, erweitert und überbaut wurden. Nur selten gelingt es, die Entwicklung eines Götterheiligtums von der Frühdynastischen Zeit bis in die griechisch-römische Zeit zu nachzuvollziehen. Ein außergewöhnliches Beispiel ist der Satet-Tempel auf Elephantine. Hier gelang es den Archäologen, die Baugeschichte eines Heiligtums über die Jahrtausende zu rekonstruieren.
Der klassische Tempel des Neuen Reiches wurde nach einem bestimmten Muster errichtet. Zunächst führt eine Allee von Sphingen als Prozessionsstraße für die religiösen Feste zum Eingangsbereich des Tempelbezirks. Den Eingang bildet ein Pylon mit zwei Tortürmen. Vor dem Pylon stehen in der Regel Statuen des Königs und ein Obelisken-Paar. Hinter dem Pylon folgt ein Vorhof mit Säulenkolonnaden. Je nach Größe der Tempelanlage folgen weitere Pylone und Vorhöfe oder bereits der Pronaos, d.h. jene Vorhalle, die zur Front eine offene Säulenhalle ist. Hinter dem Pronaos folgen die eigentlichen Kulträume und schließlich das Allerheiligste, in dem die Statue der Gottheit in einem Kultschrein oder einer Kultkammer (Naos) aufgestellt war. Diese Grundstruktur konnte in einem gewissen Umfang variieren, blieb aber bis in die griechisch-römische Zeit bestimmend. Dem klassischen Ideal kommen beispielsweise der Chons-Tempel in Karnak oder der Horus-Tempel in Edfu sehr nahe.
In der Ramessidenzeit (19. bis 20. Dynastie) begann sich eine weitere Entwicklung abzuzeichnen. Wichtige Tempel waren zugleich zu Festungen ausgebaut worden. Sie waren von großen Mauern und Bastionen umgeben. Der Grund für diese Entwicklung liegt darin, dass die Tempel zunehmend auch Wirtschafts- und politische Machtzentren wurden. Außerdem waren sie Herberge der örtlichen Garnison. Hohepriester waren oft auch hochrangige Militärführer. Diese Tendenz setzte sich nach der Ramessidenzeit im ersten Jahrtausend vor Christus fort. Noch bis in römische Zeit war die Kombination von Tempel, Festung, Garnison und Wirtschaftszentrum vorherrschend. Der Tempel von Luxor war zugleich Ort der römischen Garnison.
Eine andere Tempelform des Neuen Reiches sind die Felstempel und Terrassentempel. Ihre Entwicklung kann man in Theben-West nachvollziehen. Dort hat man zunächst die großen Felsgräber von el-Tarif mit Pfeilergalerien an der Front. Diese Gräber stammen aus der Ersten Zwischenzeit. Im frühen Mittleren Reich baute Mentuhotep Nebhapetre einen Felstempel, d.h. eine Mischung aus Königsgrab und Totentempel, bei dem die Pfeileranlagen wie Terrassen aus der Felswand von Deir el-Bahari herausragen. Dieser Totentempel war wiederum Vorbild für den berühmten Terrassentempel der Königin Hatschepsut in Deir el-Bahari.
In der ptolemäischen bzw. griechisch-römischen Zeit wurden zwar in Alexandria Tempel nach hellenistischer Bauweise errichtet, doch wurden die Tempel in den Provinzen Ober- und Unterägyptens weiterhin nach typisch ägyptischen Grundmustern gebaut. Die monumentalen Beispiele solcher späten Göttertempel sind der Horus-Tempel von Edfu, der Hathor-Tempel von Dendera, der Isis-Tempel von Philae oder der Chnum-Tempel von Esna.
Die byzantinische Zeit war die Epoche des Kirchenbaus in Ägypten. Die meisten Kirchen jener Zeit waren in Form einer Basilika errichtet worden. In der Regel waren solche Kirchen durch Säulenreihen in drei Schiffe geteilt. An der hinteren Schmalseite der Basilika befand sich die Apsis, der Altarraum für den Kultvollzug. In Ägypten wurden die Säulenreihen der Basiliken oftmals mit Spolien, d.h. unter Wiederverwendung antiker römisch-griechischer Säulen errichtet. Nicht selten wurden christliche Basiliken neben den Ruinen antiker ägyptischer Tempel errichtet. Es kam auch vor, dass Räume in den ägyptischen Tempeln zu Kirchen umgebaut und für die christliche Gemeinde genutzt wurden.
Während in den Städten der byzantinischen Zeit und des Mittelalters Kirchen und Basiliken errichtet wurden, so gibt es noch eine andere Architekturform, die außerhalb der eigentlichen Gesellschaft Verwendung fand. Es handelt sich um die Klosteranlagen der Mönche. Ägypten gilt als das Mutterland des christlichen Mönchtums. Es gab große Klosteranlagen, von hohen Mauern umgeben, mit Gebetshallen, Lagerhäusern, Wirtschaftsgebäuden und Wohnhäusern mit den Mönchszellen. Berühmte Klöster stehen heute noch im Wadi Natrun und in der Arabischen Wüste. Eine bedeutende Klosterruine aus dem Mittelalter steht bei Assuan: Das Kloster des Heiligen Simeon war eines der größten in Südägypten.
Neben den großen Klosteranlagen gab es auch Einsiedeleien, sogenannte Emiretagen, in denen einzelne Mönche lebten, arbeiteten und beteten. Meistens handelt es sich hierbei um einfache ummauerte Gehöfte mit Garten. Oft dienten Felshöhlen als Emiretagen. Ebenso gern wurden altägyptische Gräber aus der Zeit der Pharaonen zu Felswohnungen für Mönche umfunktioniert.
Mit der Eroberung Ägyptens durch die Araber im 7. Jahrhundert begann die Epoche des Moscheenbaus. Auch wenn während der ersten vier bis fünf Jahrhunderte die Muslime in Ägypten noch in der Minderheit blieben, so waren die Moscheen die prächtigsten Sakralbauten des ägyptischen Mittelalters.
Die älteren Moscheen sind zumeist Hofmoscheen. Sie haben im Zentrum einen offenen Innenhof, der von Säulenarkaden umgeben ist. Zu jeder Moschee gehörte mindestens ein Minarett für die Gebetsrufe des Muezzins. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden zunehmend Moscheen errichtet, die an der Stelle der Säulenarkaden große Liwane haben. Dabei handelt es sich um offene, mit Tonnengewölben überdachte Hallen.
In der osmanischen Zeit orientierte sich der Moscheenbau Ägyptens an den Vorbildern Istanbuls. Dort war nach der muslimisch-osmanischen Eroberung der Stadt im Jahre 1453 die Hagia Sophia, die größte Kirche des Orients und eine der größten der Welt, in eine Moschee umgebaut worden, indem man im Innern einige kleine Veränderungen vornahm und außen vier schlanke Minaretts anfügte. Diese Moschee galt über Jahrhunderte als Vorbild für den Moscheenbau im gesamten Osmanischen Reich.
Zum Interieur der Moscheen aller Epochen gehören der Minbar (Gebetskanzel) und der Mihrab (die Gebetsnische), der nach Mekka ausgerichtet ist. Vielen Moscheen ist eine Madrasa angeschlossen. Hierbei handelt es sich um eine Koranschule. Ebenfalls Bestandteil vieler Moscheen in Ägypten ist ein Sabil-Kuttab. Ein Sabil-Kuttab ist in der Regel ein zweistöckiges Gebäude: Im oberen Stockwerk befinden ein oder mehrere Schulräume für Elementarunterricht und Koranstudien. Im unteren Stockwerk gab es kühle Räume und Brunnenanlagen für die Bereitstellung von Trinkwasser. Manche große Moscheen haben noch ein Mausoleum angegliedert. Hier war meist der Stifter oder derjenige bestattet, dem die jeweilige Moschee geweiht war.
Auswahl weiterführender Literatur:
- Arnold, Dieter, Lexikon der ägyptischen Baukunst, Zürich und München 1994.
- Arnold, Dieter, Die Tempel Ägyptens. Götterwohnungen, Baudenkmäler, Kultstätten, Zürich 1992.
- Brandenburg, Dietrich, Islamische Baukunst in Ägypten, Berlin 1966.
- Grossmann, Peter, Christliche Architektur in Ägypten, Leiden 2002.
- Wilkinson, Richard H., Die Welt der Tempel im alten Ägypten, Stuttgart 2005.