Im Nekropolengebiet von West-Theben, südlich des Tals der Könige und von
Deir el-Bahari (Hatschepsut-Tempel), westlich des Tals der Königinnen und östlich der Totentempel von
Ramses II. (
Ramesseum) und Merenptah, liegt, in unmittelbarer Nähe der Nekropole von Qurnet Murai (Kurnet Murai), abgeschieden in einem Seitental, die
Arbeitersiedlung und Nekropole von Deir el-Medine (alternative Schreibungen: Deir el-Medina, Deir el-Medineh).
Deir el-Medine ist in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes. Zum einen
handelt es sich um die am besten erforschten Überreste einer altägyptischen Siedlung aus dem Neuen Reich. Zum anderen befinden sich dort bezaubernde kleine Gräber, die nicht den Mitgliedern der königlichen Familien oder den höchsten Amts- und Würdenträgern des Staates gehören, sondern den Handwerksmeistern und Kunsthandwerkern, die für die Könige und Eliten des Landes die schönen und großen Gräber in den Thebanischen Nekropolen geschaffen haben. Sie lebten in ihrem eigenen Dorf, abgeschieden von den Siedlungen des Niltals. Von hier aus zogen sie jeden Morgen über Schleichwege ins
Tal der Könige oder in die Nachbartäler, um dort die Schächte in die Felsen zu schlagen, die Reliefs an die Wände zu meißeln und die Bilder mit leuchtenden Farben zu überziehen. Viele dieser Arbeiter waren Spezialisten, die sich auf ihr Handwerk verstanden. Ihre Arbeit war geheim, denn die Lage und Architektur der Pharaonengräber durfte niemandem verraten werden. So lebten sie zumeist abgeschirmt von der übrigen Gesellschaft, direkt dem Wesir und höchsten Beamten unterstellt, in ihrer eigenen Gemeinschaft. Ihre Frauen und Kinder lebten mit im Dorf. Direkt neben dem Dorf legten sie sich ihre eigenen Grabanlagen an.
Das Dorf Deir el-Medine
Die Siedlung besteht aus schmalen Reihenhäusern, rund 70 an der Zahl, die in agglutinierender Bauweise Wand an Wand gebaut wurden. Durch die Mitte der kleinen Siedlung führt eine Straße bzw. enge Gasse, zunächst vom Eingang im Norden in Richtung Süden. In der Mitte gibt es eine Abzweigung nach Westen, während die Hautstraße (zwischendurch einen Haken nach Westen schlagend) weiter nach Süden geht. Umgeben ist die Siedlung von einer Mauer. Die zwei Eingänge zum Dorf – neben dem Haupteingang im Norden gibt es noch einen Seiteneingang im Westen – waren wohl bewacht. Ein paar Häuser gibt es auch außerhalb der Mauer. Das Dorf bedeckt eine Fläche von rund zwei Hektar. Wie viele Menschen dort gelebt haben, lässt sich nur ungefähr schätzen. Vielleicht waren es 300 oder 400 Menschen. Allerdings dürfte die Einwohnerzahl stark geschwankt haben. Etwa 60 bis 120 davon waren aktive Arbeiter im Tal der Könige, während es sich bei den anderen um Familienmitglieder wie Frauen, Kinder und Greise gehandelt haben dürfte.
Begründet wurde das Dorf zu Anfang der 18. Dynastie, im 16 Jahrhundert v. Chr., zu jener Zeit, als man begann,
Königsgräber im Tal der Könige anzulegen. Weil die Arbeiter in den Pharaonengräbern arbeiteten und diese Gräber – ihre Lage und ihr Grundriss – geheim bleiben sollten, waren sie direkt dem Wesir unterstellt und durften ihre Kenntnisse nicht nach außen tragen. Mit Beginn der 21. Dynastie, im späten 11. Jahrhundert v. Chr., endete die fünfhundertjährige Geschichte des Dorfes. Weil sich die Pharaonen nicht mehr im Tal der Könige bestatten ließen, war auch die Arbeitersiedlung nicht mehr von Nöten.
Die Häuser ähneln sich. Der Eingang liegt zumeist an der Hauptstraße. Durch eine niedrige Tür gelangte man in einen Eingangsraum mit Kapelle oder Hausheiligtum. Von dort konnte man durch eine weitere Tür in den zentralen Wohnraum gelangen. Dort stand in manchen Häusern eine Säule, die half, das Dach zu tragen. Vom Wohnraum ging es in die Speisekammer und dahinter in die Küche mit Feuerstelle zum Kochen, die sich ganz am Ende der Wohneinheit befand. Eine Treppe führte zu einem Kellerraum, wo man Lebensmittelvorräte aufbewahrte. Eine weitere Treppe oder Leiter führte auf das Dach. Auf dem Dach wurde oft geschlafen, wenn es im Haus heiß und stickig war. Durch die intensive Erforschung und archäologische Erschließung kann man heute durch die Siedlung und die einzelnen Häuser gehen und einen Eindruck von den Wohn- und Lebensverhältnissen der Bewohner gewinnen. Die Grundmauern stehen dank der denkmalpflegerischen Maßnahmen und Restaurationen noch aufrecht. Die Dächer sind natürlich nicht mehr erhalten. Aber dafür kamen während der Ausgrabungen allerlei Gebrauchsgegenstände, Keramik und Alltagsobjekte zum Vorschein, so dass man den Alltag der Menschen recht gut konstruieren kann. Während die Arbeitersiedlungen in den Pyramidenbezirken Nordägyptens eher den Eindruck von temporären Kasernierungen der Arbeitermassen erwecken, so handelte es sich bei der Siedlung von Deir el-Medine um eine richtige gewachsene Dorfgemeinschaft.
Dank zahlloser Ostraka, d.h. Tonscherben mit hieratischen Texten und Notizen, weiß man heute ziemlich viel über das Leben, die Personen und die Organisation von Deir el-Medine. Anhand der Texte kann man sogar einige Häuser ihren ursprünglichen Besitzern zuordnen. Unter den Texten, die man im Dorf (und in der Nekropole) von Deir el-Medine gefunden hat, sind auch Listen, Briefe, Verträge, Abrechnungen und Quittungen, Lohnaufzeichnungen, Rechtsstreiturkunden und sogar literarische Texte. Wir wissen heute viel über die Beziehungen der Bewohner untereinander, über ihre dörfliche Organisation, ihren Alltag sowie ihre sozialen Probleme und innerdörflichen Konflikte.
Auch wenn die Bewohner dieses Dorfes schon dreitausend Jahre tot sind, so werden sie einem menschlich nahe, wenn man sich beim Begehen der Siedlung folgende historische Begebenheit vor Augen führt: Man fand ein besonders pikantes und aufschlussreiches Dokumente, einen Papyrus, der einen
dokumentiert.
Hintergrund waren ausgefallene Lohnzahlungen. Da der Lohn in
damals in Naturalien ausgezahlt wurde, mangelte es den Arbeitern und ihren Familien nach einiger Zeit an Nahrung, Trinken, Kleidung und sonstige Versorgungsgütern. Mehrfach legten die Nekropolenarbeiter ihre Arbeit nieder und begannen schließlich einen richtigen Streik. Schließlich lenkten die verantwortlichen Beamten ein und zahlten den Lohn aus. Doch es kamen weitere Lohnausfälle. Wieder wurde gestreikt. Diesmal zogen die Arbeiter sogar zum Tempelbezirk, um dort zu protestieren. Sie waren erfolgreich. Der Wesir persönlich ordnete die Lohnauszahlungen an. Es gab noch andere Probleme. Während der späten 20. Dynastie, einer Zeit politischer Unruhen und hoher Korruption in Ägypten, wurde die Situation in Deir el-Medine immer unwirtlicher. Es gab am Wüstenrand zahlreiche Überfälle von Beduinen und herumstreunenden Söldnern, die die Dörfer der Bauern plünderten und auch Deir el-Medine bedrohten. Die Bewohner lebten zu solchen Zeiten in Angst. Sie waren relativ ungeschützt. Außerdem kam es immer wieder zu
. Die Arbeiter mussten wegen der empfindlichen Situation und mangelnden Sicherheit oft ihre Arbeit einstellen. Es kam auch zu einem Prozess, weil einige Bewohner wohl selbst in Grabräubereien verwickelt waren. Außerdem holten Hungersituationen und Versorgungsengpässe die Bewohner immer wieder ein. Da man in Deir el-Medine sich aufs Handwerk und nicht auf die Landwirtschaft spezialisierte, war man nicht autark, sondern auf die regelmäßige Lohnzahlung und Versorgung von außen angewiesen. Kam sie nicht, weil es einen Versorgungsengpass gab oder weil korrupte Beamte Nahrungsmittelvorräte unterschlugen oder weil insgesamt die Vorräte wegen schlechter Ernten gering waren, war die Not im Dorf groß.