Muhammad Anwar as-Sadat (im westl. Schreibjargon auch Anwar el-Sadat geschrieben), geboren am 25. Dezember 1918 in “Mit Abu el-Kom”, einem kleinen Dorf im Nildelta, war der dritte Staatspräsident des unabhängigen Ägypten. Er wurde bei einem Attentat am 6. Oktober 1981 in Kairo getötet.
Sadat stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Seine Eltern waren Fellachen (Bauern) im Delta. Sadat und seine zwölf Geschwister wurden bereits in ihrer Kindheit und Jugend mit den Härten des Landlebens und körperlicher Arbeit konfrontiert. Um mehr Geld für die Familie zu verdienen, arbeite Sadats Vater eine Zeit lang in britischen Diensten als Dolmetscher im Sudan. Auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen zog die Familie 1925 nach Kairo. Dort arbeitete Sadats Vater als Angestellter in einem Hospital. Sadat ging in Kairo zur Schule. Seine beruflichen Aussichten waren wegen seiner sozialen Herkunft eingeschränkt. Ihm standen nicht dieselben Karrierechancen offen, wie sie sich den Söhnen der privilegierten Oberschicht boten, die Dank Vetternwirtschaft und Familiennetzwerke die lukrativsten Positionen der Gesellschaft besetzten. Sadat träumte von einer Karriere als Schauspieler.
Schließlich bot sich die Chance auf eine Laufbahn beim Militär. Weil die Briten ihre Truppenpräsenz in Ägypten reduzierten und auf sich auf die Kanal-Region konzentrierten, musste das ägyptische Heer vergrößert werden. Man warb um Rekruten. Die Armee bot nun auch Männern mit einfachem sozialen Hintergrund Aufstiegschancen durch eine Offiziersausbildung, die zuvor nur den Söhnen der noblen Familien vorbehalten war. Und so trat Sadat seine Kadettenausbildung an der Militärakademie an, die er im Jahre 1938 im Rang eines Unterleutnants abschloss. Dann wurde er zu einer Provinzgarnison versetzt. Bei einem Fortbildungskurs zum Armee-Funker 1939 lernte er Gamal Abdel Nasser (Gamal Abd an-Nasser) kennen. Sie teilten schon damals ihre politischen Ideen von einem freien Ägypten und gründeten mit Gleichgesinnten die Geheimorganisation der Freien Offiziere. Zu dieser Zeit standen sie noch in Kontakt zu den Muslimbrüdern, verbunden durch die gemeinsame Hoffnung auf eine Revolution.
Während des Zweiten Weltkriegs sympathisierten viele Anhänger dieser Organisation mit den Deutschen. Man hoffte, dass ein Sieg des Deutschen Afrikakorps die Position Großbritanniens im Nahen Osten schwächen könnte und sich somit die Chance böte, die verhasste britische Kolonialherrschaft abzuschütteln. Ein erster Versuch, gegen die britische Schutzmacht zu revoltieren, scheiterte 1941. Wegen seiner politischen Betätigungen sowie anti-britischen und anti-monarchischen Aktionen wurde Sadat 1942 aus der Armee entlassen und verhaftet. Er kam ins Gefängnis. Zwei Jahre später konnte Sadat aus dem Gefängnis fliehen. 1946 wurde Sadat nochmals verhaftet und kam erst 1948 wieder frei. Ein Jahr später heiratete er die 16 Jahre junge Jehan Safwat Raouf.
Sadat hatte mehrere Gelegenheitsjobs und arbeitete als Reporter. Erst 1950, als die politische Lage sich entspannt hatte, war es für Sadat möglich, zur Armee zurückzukehren. Es wurde rehabilitiert und zum Major befördert. Seine Erfahrungen im journalistischen Bereich halfen ihm bei seiner späteren politischen Karriere. Er beherrschte den Umgang mit den Medien sowohl als Journalist wie auch als politischer Sprecher.
1952 war die Zeit reif für den Regierungsumsturz. Die Geheimorganisation der Freien Offiziere” zettelte einen Militärputsch gegen den unbeliebten König Faruk an. Am 23. Juli 1952 war der Monarch gestürzt. Über Radio konnte Anwar as-Sadat, der an vorderster Reihe bei diesem Putsch mitwirkte, persönlich den Erfolg der ägyptischen Öffentlichkeit verkünden. Die Militärführung beförderte ihn zum Oberst.
Mit dem erfolgreichen Umsturz gelangte Sadat in die neue Führungsriege der Politik. Er war nicht nur Mitglied im Revolutionsrat, wo er an den wichtigsten Entscheidungsfindungen Anteil hatte, sondern gründete auch seine eigene Zeitung, Die Republik (El-Gumhurija), die er als Sprachrohr für die Ziele der neuen Regierung nutzte. Mit dem Militärputsch und dem Sturz des Königs war auch das Ende des britischen Einflusses gekommen. 1954 unterzeichneten Großbritannien und Ägypten ein Abkommen, mit dem das Ende der britischen Schutzherrschaft verbunden war. Sadat erhielt einen Posten als Staatsminister. Er war von nun an die rechte Hand Gamal Abdel Nassers, der nach kurzer Zeit den bisherigen Staatspräsidenten Nagib (Naguib) ablöste und zur Führungsfigur der arabischsprachigen Welt avancierte. Nun, nachdem die Clique um Nasser und Sadat an die Macht gekommen war, wurde auch die ideologische Kluft zu den Muslimbrüdern offensichtlich, die mit den Vorstellungen eines pan-arabischen Sozialismus nichts anzufangen wussten und stattdessen eine Islamisierung der Gesellschaft propagierten.
1956 stand das unabhängige Ägypten vor seiner ersten außenpolitischen Bewährungsprobe. Nasser wagte es, die Suez -Kanal-Gesellschaft zu verstaatlichen. Diese Aktion wurde in der ägyptischen Bevölkerung begrüßt, traf jedoch international auf heftige Kritik. Großbritannien, Frankreich und Israel starten eine gemeinsame Militäraktion gegen Ägypten, um die Kanalzone zu besetzen. Doch die USA und die UdSSR bewogen die Angreifer zum Rückzug. Als pan-arabischer Sozialist, und um gegen die ehemaligen Kolonialherren einen starken Verbündeten zu finden, suchte Nasser die Nähe zur Sowjetunion. Die UdSSR hatte ihrerseits ein strategisches Interesse an Ägypten.
Ägypten versuchte sich als Führungsmacht der arabischen Welt zu etablieren. Allerdings scheiterte der Versuch, sich mit Syrien zu einer Vereinigten Arabischen Republik zusammenzutun. Das instabile Staatsgebilde hielt nur von 1958 bis 1961. Eine geplante Vereinigung mit Libyen blieb nur Theorie auf dem Papier. Auch die kostspielige und verlustreiche militärische Intervention im jemenitischen Bürgerkrieg war nicht von Erfolg gekrönt. Ein schwerer Schock für Nassers Regierung war die Niederlage im Sechstagekrieg von 1967, als israelische Truppen die Halbinsel Sinai besetzten und bis zum Suez-Kanal vorrückten. Frustriert erklärte Nasser seinen Rücktritt, kehrte aber auf Bitten seiner Anhänger nach wenigen Tagen ins Amt zurück.
Während der Regierungszeit Nassers intensivierten sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Ägypten und der Sowjetunion. Um von westlicher und insbesondere britischer Einflussnahme unabhängig zu werden und dennoch das Militär waffentechnologisch und strategisch aufzurüsten, wurden russische Militärexperten ins Land geholt und die ägyptischen Truppen mit sowjetischen Waffensystemen ausgestattet.
Während all dieser Jahre konnte Anwar as-Sadat seine politische Laufbahn fortsetzen. 1957 wurde er Generalsekretär der Nationalen Einheitspartei. 1960 wurde er Sprecher der Nationalversammlung. Ab 1962 war Sadat Mitglied des Präsidentschaftsrates und ab 1969 Vizepräsident. Nach dem frühen Tode Nassers am 28. September 1970 (Herzattacke) wurde Anwar as-Sadat am 15. Oktober als dessen Nachfolger zum Staatspräsidenten gewählt.
1971 erreicht die ägyptisch-sowjetische „Freundschaft“ einen symbolischen Höhepunkt durch die Einweihung des großenAssuan -Hochdammes unter Anwesenheit des ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat und dem Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets, Nikolai Wiktorowitsch Podgorny. An der technischen Verwirklichung des Dammprojektes hatten zahlreiche russische Ingenieure Anteil. Außerdem wurde ein ägyptisch-sowjetisches Freundschafts- und Bündnisabkommen unterzeichnet. Doch von da an ließ sich eine Neuorientierung beobachten. Sadat war enttäuscht, dass die Sowjets ihren Versprechungen hinsichtlich der Militärhilfe nicht nachkamen. Große Sorge bereitete ihm zudem die Befürchtung, die Sowjets könnten ihren Einfluss auf die inneren Angelegenheiten Ägyptens ausweiten. Schon zu Nassers Zeiten hatte es diesbezüglich Schwierigkeiten gegeben, als die Einmischung in innere Angelegenheiten Ägyptens zu groß wurde. So wandte sich Sadat von der UdSSR ab und den USA zu. 1972 wurden alle russischen Militärexperten, Bauingenieure und sonstigen Berater aus Ägypten ausgewiesen. Es sollen bis zu 17.000 gewesen sein. Sadat spielte diplomatisch geschickt mit dem Ost-West-Gegensatz, um daraus Nutzen für sein Land zu ziehen.
Das größte Wagnis des Präsidenten Sadat war der Feldzug gegen das von Israel besetzte Kanalgebiet im Jom-Kippur-Krieg von 1973. Dem Überraschungseffekt war es zu verdanken, dass die Ägypter die israelischen Truppen überlisten und den Suez-Kanal überqueren konnten. Zwar stellte sich am Ende durch die Truppenbewegungen beider Seiten und die komplizierte Verzahnung des Frontverlaufes eine Pattsituation ein, doch konnte das Ereignis daheim als militärischer Erfolg Ägyptens dargestellt werden. Unter Vermittlung der USA kam es zum Waffenstillstand. Sadat hatte Israel nun dort, wo er sie haben wollte: am Verhandlungstisch. Nun stand die große diplomatische Herausforderung an, das angespannte Verhältnis beider Länder zu entschärfen.
Das Ergebnis der jahrelangen diplomatischen und zum Teil sehr zähen Verhandlungen zwischen den Ägyptern und Israelis, die in einer vielbeachteten Rede Sadats vor der israelischen Knesset (1977) gipfelten, war das unter der Vermittlung von US-Präsident Jimmy Carter zwischen Anwar as-Sadat und dem israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin 1978 zustande gekommene Abkommen von Camp David. Die Beteiligten erhielten hierfür noch im selben Jahr den Friedensnobelpreis. Der nächste Schritt war der Friedensvertrag von 1979. Ägypten erhielt von Israel die Halbinsel Sinai zurück. Die USA waren ein entscheidender Faktor bei dieser Entwicklung. Schon der Staatsbesuch Präsident Nixons 1974, der erste offizielle Besuch eines US-Präsidenten in Ägypten überhaupt, war ein Signal für die außenpolitische Neuorientierung Ägyptens. 1975 besuchte Sadat die US-Hauptstadt Washington und sprach als erster ägyptischer Staatsmann vor dem amerikanischen Kongress. Kurz zuvor gab es ein amerikanisch-israelisch-ägyptisches Gipfeltreffen auf neutralem Boden in Salzburg. Im selben Jahr wurde der Suez-Kanal, der nach dem Sechstage-Krieg von 1967 durch zerstörte Schiffe und Boote gesperrt war, wieder für die Weltschifffahrt geöffnet.
Die Friedenspolitik mit Israel rief in Europa und Amerika Bewunderung hervor, stieß aber in der arabisch-islamischen Welt auf kritische Gegenstimmen. Viel Kritik kam vom libyschen Revolutionsführer Gaddafi und vom syrischen Präsidenten Assad, aber auch von Teilen der arabischen Presse. Es war von Verrat an der arabischen Nation die Rede. Auch von islamistischen Organisationen wurde der Friedensvertrag heftig kritisiert. Gruppen islamischer Fundamentalisten radikalisierten sich und provozierten strenge polizeistaatliche Reaktionen. Dies führte zu einer Spirale der Gewalt und Gegengewalt. So hatte Sadat durch seine Diplomatie zwar die außenpolitische Lage entschärft, jedoch die innenpolitische verschärft.
Trauriges Ende seiner Präsidentschaft war das Attentat vom 6. Oktober 1981. Die Führungsriege aus Politik und Militär sowie die internationale Presse waren anwesend, als bei einer Militärparade bewaffnete Soldaten einem vorbeifahrenden Truppentransportfahrzeug entsprangen und mit Maschinenpistolen und Handgranaten das Feuer auf die Ehrentribüne eröffneten. Sadat wurde von einem Querschläger getroffen und verstarb.
Die ausländischen Reaktionen auf das Attentat waren wie beim Friedensabkommen geteilt. Aus Europa, Amerika und Israel kamen Trauerbotschaften, und man entrüstete sich über die Brutalität des Attentats und sorgte sich um die Zukunft des Landes. In einigen Regionen der islamischen Welt, insbesondere in Libyen, im Libanon und im Iran, aber auch unter den Palästinensern, gab es viele Stimmen, die das Attentat begrüßten.
Nachfolger Sadats wurde Hosni Mubarak, der die pro-westliche Politik fortsetzte und seit dem Attentat das Land unter offiziellen Notstandsgesetzen regierte.
Auswahl weiterführender Literatur:
- Baker, Rayond W., Sadat and After: Struggles for Egypt's Political Soul, Cambridge/Mass. 1990.
- Finkelstone, Joseph, Anwar Sadat: Visionary Who Dared, London (u.a.) 1996.
- Haikal, Muhammad Hasanain, Sadat - das Ende eines Pharao: eine politische Biographie, Düsseldorf (u.a.) 1984.
- Jansen, Johannes J.G., The Neglected Duty: The Creed of Sadat's Assassins and Islamic Resurgence in the Middle East, New York 1986.
- Kogelmann, Franz, Die Islamisten Ägyptens in der Regierungszeit von Anwar as-Sadat, Berlin 1994.
- Munziger-Biographie: Anwar el Sadat, Ravensburg 1982.
- Sadat, Awar as-, Unterwegs zur Gerechtigkeit; Auf der Suche nach Identität: Die Geschichte meines Lebens, Wien (u.a.) 1978.
- Sadat, Jehan, Ich bin eine Frau aus Ägypten - Die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau unserer Zeit, (übers. v. G. Stege), München 1993 (19. Aufl.).
- Schulze, Helmut R. und Jehan Sadat, Sadat der Ägypter, München 1982.
- Shalaby, Farouk Mohammed, Der Wandel der ägyptischen Außenpolitik unter Sadat 1970 bis 1977: Aspekte, Ziele und Apparat (Universitätsdissertation), Bonn 1979.