Jerash, das antike Gerasa, ist eine kleine jordanische Stadt mit großer Geschichte. Die antike Stadt war in römischer Zeit größer als der moderne Ort heute. Entsprechend wirkt die Ruinenlandschaft wie ein gigantisches Freilichtmuseum. Zahlreiche Bauwerke sind erhalten: Tempel, Theater, Thermen, Triumphbögen und Ruinen von byzantinischen Kirchen. Die Ruinenstätte gilt als eine der am besten erhaltenen römischen Städte der Levante und wird deshalb auch Pompeji des Nahen Ostens genannt.
Jerash - antike jordanische Stadt
Jerash ist eine kleine antike jordanische Stadt mit großer Geschichte.
Jerash ist ein kleines orientalisches Städtchen im Norden Jordaniens. Etwa 45 Kilometer nördlich von Amman begrüßt Jerash seine Besucher mit einer fast lieblichen Hügellandschaft, die im Sommer zwar karg, im Frühjahr jedoch außerordentlich grün ist. Jerash hat für seine Gäste eine Überraschung parat. Denn die meisten Touristen ahnen nicht, dass die antiken Ruinen von Jerash ebenso bedeutend und spektakulär sind wie jene in Petra oder im syrischen Palmyra. Zwar fehlt die dramatische Hintergrundkulisse – wie in Palmyra die Wüstendünen und in Petra die Felsenberge. Doch auch die Ruinen und antiken Bauwerke von Jerash zeugen von einer großen Vergangenheit.
Durchzogen wird die Stadt vom Wadi Jerash, das nach der Stadt benannt ist und in der Antike ein Fluss namens Chrysorhoas ("Goldfluss") war. Östlich des Wadis erstreckt sich der moderne Ort Jerash, in dem heute rund 50.000 Menschen leben. Westlich des Wadis breitet sich die alte Ruinenstadt von Gerasa aus. Früher erstreckte sich Gerasa bis weit nach Osten. Doch dieser Teil der antiken Stadt ist durch den modernen Ort überbaut. Das bedeutet: Nur ein westlicher Teil des alten Gerasa lässt sich besichtigen. Viele Ruinen liegen wahrscheinlich noch unter der modernen Stadt.
Gerasa hatte in der hellenistischen Antike, seit der Zeit der Seleukiden, den Namen "Antiochia am Goldfluss". Der Name Antiochia deutet auf einen Seleukindenherrscher hin (vermutlich König Antiochus III.).
Geschichte des alten Gerasa
Zwar wurden an einzelnen Stellen in der Gegend von Jerash Funde aus der Jungsteinzeit an Tageslicht gebracht, die darauf hindeuten, dass sich schon im 6. Jahrtausend v. Chr. sich hier Menschen niedergelassen hatten. Auch wurden Siedlungsspuren aus der Bronzezeit und aus der biblischen Zeit des 1. Jahrtausends v. Chr. gefunden. Doch die Geschichte Gerasas als konstante Siedlung und bedeutende Stadt begann in der klassischen Antike.
Die Region Transjordanien erlebte nach der Eroberung durch Alexander den Großen einen großen Aufschwung. Im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. schien die Bevölkerung zu wachsen. Jedenfalls hinterlassen die archäologischen Spuren diesen Eindruck. 198 v. Chr. konnten die Seleukiden unter ihrem König Antiochus III. die Region den Ptolemäern Ägyptens entreißen. Zu dieser Zeit wurde Gerasa unter dem Namen "Antiochia am Goldfluss" offiziell als Stadt gegründet. In der folgenden Zeit war die Stadt zunächst unter der Oberherrschaft der Seleukiden gestanden, geriet jedoch zunehmend unter dem Einfluss der arabischen Nabatäer, die in Petra eines ihrer Zentren hatten.
Das antike Gerasa profitierte, wie viele jordanische Städte jener Zeit, von einem Klimaoptimum im Nahen Osten, das gute Landwirtschaft und großes Bevölkerungswachstum ermöglichte, und von einem blühenden Karawanenhandel. Insbesondere die Strecke von Damaskus nach Petra führte durch Gerasa. Während der Zeit des Makkabäerreiches in Palästina machte sich auch jüdischer Einfluss sowohl politisch als auch gesellschaftlich bemerkbar. Nach der Thronbesteigung des Königs Alexander Jannaeus in Judäa im Jahre 103 v. Chr. gehörte Gerasa zum Königreich Jerusalem beziehungsweise zum Machtbereich der Makkabäer/Hasmonäer.
Mit der Eroberung Gerasas durch die Römer in Jahre 64/63 v. Chr. begann eine Epoche des wirtschaftlichen Aufstiegs. Die Legionen Roms sorgten in der Levante für eine politische Stabilität, wie sie zuvor durch die seleukidisch-ptolemäischen Kriege und Konflikte und der Instabilität des Hasmonäerreiches nicht gegeben war. Im Schutz des Römischen Reiches konnte sich der Handel ideal entfalten. Die Bewohner von Gerasa wurden wohlhabend. Die Stadt wurde prächtig ausgebaut. Die meisten antiken Gebäude, die man heute in Gerasa besichtigen kann, stammen aus der römischen Zeit. Im 1. Jahrhundert n. Chr. schien, wie in allen Städten der Levante, auch in Gerasa ein Bauboom angebrochen zu sein, der mindestens zwei Jahrhunderte anhielt. Aus dieser Zeit stammen der Artemis/Diana-Tempel, der Zeus/Jupiter-Tempel und die Prachtstraßen.
Durch die römische Annexion des Nabatäer-Gebietes 106 n. Chr. unter Kaiser Trajan und weiteren Expansion in Richtung Mesopotamien im 2. Jahrhundert n. Chr. wurde der einheitliche Wirtschaftsraum vergrößert. Der Handel florierte, die städtebaulichen Maßnahmen wurden fortgesetzt. Höhepunkt und besondere Ehre für die Stadtbürger von Gerasa war der Besuch des Kaisers Hadrian im Winter 129/130 n. Chr. Dieser war in den Ostprovinzen seines Reiches unterwegs, um die strategische Verteilung der Legionen an den Ostgrenzen zu beurteilen und die dort stationierten Truppen zu inspizieren. Von Antiochia am Orontes (dem heutigen Antakya in der Südtürkei) kommend, zog er durch Syrien, um dann die Situation in den Provinzen Judäa und Arabia unter Augenschein zu nehmen. Dabei kam er in Gerasa, dem Antiochia am Goldenen Fluss vorbei und überwinterte hier, bevor er weiter nach Ägypten zog. Für die Stadt war der Aufenthalt ein Höhepunkt ihrer Geschichte. Eigens zu Ehren dieses Besuches wurde ein Triumphbogen errichtet, damit der Kaiser gebührend empfangen werden konnte. Diesen Triumphbogen kann man noch heute im Süden der antiken Stadt besichtigen. Auch die Tempel der Artemis (bzw. Diana) und des Zeus (bzw. Jupiter) wurden rundum erneuert. Villen wurden errichtet, die Stadt mit Prachtalleen aufgehübscht.
Ob die Stadt sich angesichts des kaiserlichen Besuches finanziell übernommen hatte, ist ungewiss. Deutlich ist aber, dass es seit dem Kaiserbesuch in Gerasa niemals wieder einen derartigen Bauboom gegeben hatte. Im 3. Jahrhundert n. Chr. war sogar ein wirtschaftlicher Niedergang zu verzeichnen. Für große Bauprojekte waren kaum noch Mittel vorhanden. Ein wichtiger Grund war der Niedergang des Handels. Die Ostprovinzen des Römischen Reiches waren unsicher geworden. Es gab wiederholten Krieg zwischen den Römern und den Sassaniden aus Persien. Rom musste zudem Gebietsverluste im Osten hinnehmen. Die Handelswege waren gefährdet. An der Südostflanke des Reiches trieben Beduinen ihr Unwesen.
Die Unterstützung der Tempelinstitutionen durch die Stadt ließ nach. Dies hatte neben dem Bedeutungsrückgang der Stadt noch einen anderen Grund. Das Christentum verbreitete sich und erreichte auch Gerasa. Statt die Tempel zu erweitern, wurden nun Kirchen errichtet. Der größte christliche Bau im spätantiken Gerasa war eine Doppelkirche aus dem 4. Jahrhundert mit Brunnenhof in der Mitte. Gerasa war in byzantinischer Zeit zum Bischofssitz geworden.
Der Niedergang der Stadt erfolgte im 7. Jahrhundert. Zunächst kamen die Sassaniden aus Persien und besetzten das Gebiet (614 bis 630 n. Chr.). Wenige Jahre später, im Jahre 636, erfolgte die Eroberung durch die muslimischen Araber. Im Jahre 658 schließlich zerstörte ein Erdbeben wichtige Bauten. Ein weiteres schweres Erdbeben ereignete sich im Jahre 749. Die Bevölkerungszahl ging zurück. Dann verschwand die Stadt im Dunkel der Geschichte. Bereits im Mittelalter war Gerasa vornehmlich als Ruinenstätte bekannt. Im Jahre 1121 befestigten die Kreuzritter unter dem Jerusalemer König Balduin II. einige Bauwerke. Doch die Anwesenheit der Franken währte nur kurz. Anschließend verfiel die Stadt wieder der Vergessenheit. Erst im 19. Jahrhundert, als Jordanien Teil des Osmanischen Reiches war, wurden Tscherkessen aus dem Kaukasus hier angesiedelt, um den Ort mit Leben zu füllen. Dann kamen wieder Araber aus der näheren Umgebung, um sich hier niederzulassen. Heute ist Jerash eine ordentliche Kleinstadt, die jedoch im Schatten der einstigen Bedeutung von Gerasa steht.
Sehenswürdigkeiten in Jerash / Gerasa
Wegen der Größe des archäologischen Ruinenparks besichtigen die meisten Touristen nur die vorderen Abschnitte der antiken Stadt. Highlights sind für viele Gäste der große Artemis/Diana-Tempel und der Zeus/Jupiter-Tempel sowie die antiken Theater. Wer mehr Zeit mitgebracht hat, sollte sich das ganze Gelände anschauen. Empfehlenswert ist es, dem Weg Kaiser Hadrians zu folgen und die alte Stadt von Süden durch dessen Triumphbogen zu betreten. Dann kann man den Achsen der antiken Stadt folgen, die die Stadt von Süd nach Nord sowie von West nach Ost durchschneiden.
Beginnen wir also im Süden. Die Stadt begrüßt uns mit dem Hadriansbogen, der zum Anlass des Besuches des römischen Kaisers Hadrian im Winter 129/130 errichtet wurde. Noch vor einigen Jahren war sein Zustand erbärmlich, denn Teile waren während der spätantiken Erdbeben eingebrochen. Von 2005 bis 2007 ist der Bau restauriert worden, wobei man auf viele originale Teile zurückgreifen konnte, die noch im Umfeld lagen. Nun sieht das Tor wieder prächtig aus. Der Triumphbogen ist 37,45 Meter breit und etwa 21 Meter hoch sowie 9,25 Meter tief. Die Bogenhöhe des Hauptdurchgangs beträgt 11 Meter. Vier Halbsäulen begrenzen den Hauptdurchgang und die beiden kleineren Seitendurchgänge. Vermutlich hatte es wohl die ursprüngliche Planung gegeben, das Tor in einen erweiterten Stadtmauering einzufügen.
Römisches Stadttor von Gerasa
Durchschreiten wir diesen Torbau, sehen wir nach wenigen Metern zur Linken die Überreste des alten Hippodroms, der antiken Pferderennbahn. Die eigentliche Rennbahnfläche war etwa 244 Meter lang und rund 50 Meter breit. Mit Tribüne war sie 261 Meter lang und über 76 Meter breit. In ihrem ursprünglichen Zustand dürfte sie rund 15.000 bis 17.000 Zuschauern Platz geboten haben. Die Datierung des Bauwerks ist unklar. Manche Archäologen datieren die Errichtung ins zweite, andere ins dritte Jahrhundert n. Chr. Im 4. Jahrhundert wurde der nördliche Teil zu einem Amphitheater für Gladiatorenkämpfe umgebaut. Nach dem schweren Erdbeben von 749 n. Chr. diente die Anlage vor allem als Steinbruch.
Römisches Hippodrom in Gerasa
Weiter des Wegs treffen wir etwa 50 Meter nördlich des Hadriansbogens und 10 Meter östlich des Hippodroms auf die Ruinen und Fundamente einer alten byzantinischen Kirche, die durch ihre schönen Fußboden-Mosaike beeindruckt. Es handelt sich um die Kirche des Bischofs Marianos. Sie wurde erst relativ spät entdeckt und freigelegt (1982-1983). Errichtet wurde sie im Jahre 570, zu einer Zeit, in der das Hippodrom bereits nicht mehr genutzt wurde. Vielleicht wurden auch einige Steine aus dem Hippodrom als Spolien in der Kirche verbaut. Die Kirche misst im Grundriss etwa 13,5 mal 8 Meter. Sie diente vermutlich auch zur Andacht Verstorbener, die auf einem nahe gelegenen Friedhof beigesetzt wurden. 749 wurde die Kirche durch das schwere Erdbeben zerstört und seitdem nicht mehr benutzt.
Weiter nördlich des Weges treffen wir auf das Visitor’s Centre, dem Empfangsbereich für die Touristen. Dahinter gelangt man durch das sogenannte Südtor in die eigentliche antike Stadt. Das Südtor gleich in seinem Baustil dem Hadrianstor und wurde höchstwahrscheinlich entweder zur selben Zeit oder kurz davor errichtet. Im 4. Jahrhundert wurde es in die neue Stadtmauer integriert.
Zweites Stadttor von Gerasa
Gleich hinter dem Südtor beginnen die großen Prachtbauten von Gerasa. Zur Linken sehen wir auf einem gewaltigen Podest das Zeus- bzw. Jupiter-Heiligtum aus dem 2. Jahrhundert n. Chr, wobei der Hauptbau um 163/164 n. Chr. errichtet wurde. Er wurde auf den Ruinen älterer Anlagen errichtet und thront auf einem 41 Meter langen und 28 Meter breitem Podest. Vor dem Tempel gab es bereits einen 27/28 n. Chr. geschaffenen großflächigen Temenos (heiligen Bezirk in Form einer Terrasse) mit einem großen Altar. In byzantinischer Zeit wurde das Heiligtum zeitweise als Kloster benutzt. Ab 1121 verschanzten sich für einige Zeit in den mittlerweile zu Ruinen verfallenen Tempelanlagen die Kreuzritter, um sie als provisorische Burg zu nutzen.
Hinter dem Zeus/Jupiter-Heiligtum befindet sich das sogenannte Südtheater aus dem späten 1. Jahrhundert n. Chr. Der Bau wurde in den Jahren 90 bis 92 n. Chr. begonnen und mit kleinen einigen Änderungen Anfang des 2. Jahrhunderts vollendet. Sowohl die Zuschauertribüne mit ihren Sitzreihen als auch das Erdgeschoss des Bühnenhauses sind noch gut erhalten. In der Antike haben im Theater rund 3.000 bis 3.500 Zuschauer auf 32 Sitzreihen Platz gefunden. Wie beim Nordtheater (siehe unten) blickten die Zuschauer auf der halbrunden Tribüne (lat. "cavea") nach Norden und wurden so nicht von der Sonne geblendet. Der gute Erhaltungszustand geht auf jüngere Restaurierungen zurück. Das Theater wird heute wieder für besondere Open-Air-Veranstaltungen genutzt.
Südliches Theater in Gerasa
Nach Norden zweigt vom Vorplatz des Zeus/Jupiter-Tempels das große "Forum" ("Oval Plaza") ab, das eine eigentümlich ovale Form hat. Ein solcher säulenumrahmter Platz dürfte in der antiken Welt einmalig gewesen sein. Der Zweck dieses Forums bzw. ovalen Paradeplatzes ist ungeklärt, da er von sonstigen antiken Foren in seiner Form vollkommen abweicht. Vielleicht wurde hier eine bestimmte Empfangszeremonie für Kaiser Hadrian zelebriert. Der Platz ist etwa 90 Meter lang und 80 Meter breit. Die Säulen mit jeweils ionischem Kapitell tragen die schweren Architrave, die das Kolonnaden-Oval des Platzes prägten. Der Platz ist komplett gepflastert.
Ovaler Platz, Forum in Gerasa
Vom ovalen Platz zweigt schließlich nach Norden der Cardo Maximus ab, die Hauptstraße und Hauptachse in Süd-Nord-Richtung. Der Cardo Maximus ist in Form einer Prachtstraße angelegt, die vom ovalem "Forum" schnurstracks bis zum Nordtor führt. Die prächtigen Kolonnaden an den Seiten ermöglichten den Fußgängern vor Sonne und Regen geschützt an der Straße zu flanieren. Die Säulen waren in der Antike rot bemalt mit grünen Kapitellen ausgestattet. Unterhalb des Cardo Maximus verläuft die Hauptabwasserleitung der Stadt, die Cloaca Maxima.
Folgt man dem Weg weiter nach Norden, sieht man zur Linken die Ruinen des Macellums, der ursprünglich überdachten Agora, einem etwa 50 mal 50 Meter großen Platz mit einem oktogonalen Säulenbau und damals einer Brunnenanlage. Errichtet war die Agora im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. und wurde bis in die frühislamische Zeit benutzt. Hier war ein wichtiger Handelsplatz.
Einige Meter weiter nördlich entlang des Cardo Maximus kommt man an die Stelle, wo sich die Nord-Süd-Achse der Stadt mit der Ost-West-Achse (Decumanus) schneidet. Die Wegkreuzung ist durch einen runden Platz mit einem prunkvollen Kreuzungsbau aus vier Säulentürmen, dem südlichen Tetrapylon, geprägt. Dieser Bau stammt aus der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Der Platz an dieser Wegkreuzung war in der Antike wie die Agora ebenfalls ein geschäftiger Ort des Handels und des gesellschaftlichen Miteinanders. An den Rändern des Platzes gab es Geschäfte und Kioske zum Handeln und Verweilen.
Weiter entlang des Cardo Maximus sieht man einige Meter weiter zur Linken den Eingang zu einem größeren Gebäudekomplex. Es handelt sich um eine frühe byzantinische Kathedrale und dahinter die Theodorkirche aus dem 5. Jahrhundert. Man durchschreitet die Propyläen, die einst in vorchristlicher Zeit zu einem Dionysos-Tempel führten, und steigt die Treppen empor; dann stößt man auf die eigentliche Kathedrale, deren Apsis nach Osten zeigt. Man kommt in das Kircheninnere sowohl durch einen nördlichen als auch einen südlichen Narthex. Im Westen schließt sich an die Kathedrale ein Brunnenkomplex an, der dann zu einer weiteren Basilika, der Theodorkirche führt.
Schließlich trifft man auf das Zentrum der antiken Stadt mit dem großen Artemis/Diana-Tempel und dem Nymphaeum, das an der Westseite des Cardo Maximus zwischen den Propyläen der Kathedrale und jenen des Artemis-Tempels steht. Beim Nymphaeum handelt es sich um ein (der Inschrift zufolge) 191 n. Chr. fertiggestelltes, 22 Meter breites Prachtgebäude mit halbrunder Apsis und Säulenarchitektur, das als Nyphenheiligtum und Brunnenbau gleichermaßen gedacht war. Aus Wasserspeiern plätscherte einst das erfischende Nass in ein zentrales Becken. Auch dieser Ort war ein gesellschaftlicher Treffpunkt.
Nymphäum in Gerasa
Der Tempel der Artemis war mit seinen Ausmaßen von 120 mal 160 Metern das Herz der Stadt. Über Treppen, durch die Propyläen, über weitere Treppen gelangt man zu einem Vorplatz, der in Form einer Altar-Terrasse errichtet war. Man steuert beim Hochsteigen direkt auf den Altar zu. Dann kommt man über eine weitere breite Treppenfront zur Ostwand des Temenos, dem zentralen heiligen Bezirk des Artemis-Tepels. Dieser war von Kolonnaden umgeben. In seiner Mitte stand ein weiterer offener Altar und direkt hinter ihm steht erhöht der eigentliche Artemis-Tempelbau, von dem noch 11 der 32 Säulen (13 Meter hoch) aufrecht stehen und in dem die Statue der Artemis stand. Die Cella des Tempels war etwa 24 Meter tief und rund 13,5 Meter breit. Artemis (entsprechend der römischen Diana) war die Göttin der Jagd, Herrin der Tier- und Pflanzenwelt. In Gerasa wurde sie auch als Schutzgöttin der Stadt und als Muttergottheit verehrt. Der Kultus der Artemis bzw. Diana wurde bis ins 5. Jahrhundert zelebriert; es gab also eine zeitliche Überschneidung von christlichen und "heidnischen" Kulten in der Stadt. Doch spätestens unter Kaiser Justinian dürfte damit Schluss gewesen sein, in Gerasa wohl schon eher. Viele Bauelemente des Tempels wurden nach seiner Entweihung entwendet und als Spolien in profanen Bauten und byzantinisch-zeitlichen Krichen der Stadt wiederverwendet.
Säulen des Artemis-Tempels
Nördlich des Artemis-Tempels steht ein weiterer Theaterbau, wiederum nordöstlich davon die Ruinen der alten Thermen. Das sogenannte Nordtheater ist dank aufwendiger Restaurationen gut erhalten. Es ist kleiner als das Südtheater. Errichtet wurde es von 164 bis 165 n. Chr. Es war zunächst als "Bouleuterium" (von griech. Bouleuterion / βουλευτήριον für "Ratssaal") gedacht und diente als Versammlungsort des städtischen Senats bzw. der örtlichen Clanvertreter. Irgendwann im frühen 3. Jahrhundert wurde es umfunktioniert. Die ursprünglich 14 Sitzreihen wurden um einen weiteren Rang mit zusätzlichen acht Sitzreihen erweitert. Am Ende dürften rund 1.500 Personen auf der "Cavea", der halbrunden Zuschauertribüne Platz gefunden haben. Statt politischer Debatten wurden hier nun Kunstaufführungen, Musikstücke und dichterische Lesungen dargeboten: Das Politikgebäude war somit zum "Odeion", zum Ort der Kunst umfunktioniert worden. Das Theater wurde bis in das 6. Jahrhundert hinein benutzt. Dann war es dem Verfall preisgegeben.
Nordtheater in Gerasa, das erst als politischer Versammlungsort, dann als Odeion für Kunstdarbietungen genutzt wurde
Weiter entlang des Cardo Maximus kommt man zum nördlichen Tretrapylon, das Ende des 2. Jahrhunderts errichtet wurde. Es ist in Form eines Tores, das nach vier Seiten geöffnet ist, errichtet. Diese Straßenkreuzung hatte allerdings nicht die städtebauliche und gesellschaftliche Bedeutung wie der südliche Tetrapylon.
Nord-Tetrapylon
Hinter dem Nord-Tetrapylon geht der Cardo Maximus weiter, bis er schließlich zum nördlichen Stadttor führt. Das Nordtor war bereits im Jahre 115 n. Chr. unter Claudius Severus, dem Statthalter der Provinz Arabia unter Kaiser Trajan, errichtet worden. Es ist somit älter als das Hadrians-Tor im Süden der Stadt. Durch dieses Tor kamen die Besucher, die von der Straße von Pella aus nach Süden zogen. Im Grundriss sind Nordfassade und Südfassade nicht ganz parallel. Denn die Straße, die an dem Tor an der Nordseite vorbeizieht, trifft nicht im 90-Grad-Winkel auf die Achse des Cardo Maxismus. Daher ist die Nordseite des Tores fast 22 Meter breit und die Südseite des Tores nur knapp über 20 Meter. Doch dem Betrachter, der durch das Tor geht, fällt dieser Unterschied gar nicht auf.
Das unter dem römischen Statthalter Claudius Severus um 115 n. Chr. errichtete Nordtor von Gerasa
Eine weitere interessante Kirchenanlage befindet sich westlich der Doppelkirche und südwestlich des Artemis/Diana-Tempels. Es handelt sich hierbei um einen Komplex, der drei Kirchen nebeneinander vereint. Im 6. Jahrhundert (529-533) unter dem byzantinischen Kaiser Justinian und der Patronage des damaligen örtlichen Bischofs Paulus wurde diese Kirchen-Dreiheit errichtet. Die einzelnen Kirchen sind verschiedenen Heiligen gewidmet. Der südliche Abschnitt dem Heiligen Georg, der mittlere dem Heiligen Johannes (des Täufers) und der nördliche den Heiligen Kosmas und Damian, die auch als legendäre medizinische Heilkundige verehrt wurden. Mit dem Heiligen Georg ist jener Georg aus Kleinasien gemeint, der während der Christenverfolgungen unter dem römischen Kaiser Diokletian (Regierungszeit von 285 bis 305 n. Chr.) den Märtyrertod starb und dem später die Legende des Drachenbezwingers zugedichtet wurde.
Die drei Kirchen teilen sich das Fundament, sowie das Atrium und den Narthex im vorderen Bereich, haben jedoch je einen eigenen Saal mit jeweils vier Säulen oder Pfeilern und jeweils eine eigene Apsis, waren aber durch Durchgänge miteinander verbunden (was nicht mehr für die Rekonstruktion/Restauration der nördlichen Kirche gilt). Die Johanneskirche teilt sich mit der Kirche von Damian und Kosmas das Baptisterium, den Taufraum, der zwischen beiden Apsiden liegt. Die Kirche des Heiligen Georg wurde als erste fertiggestellt, und zwar schon 529 n. Chr. Die anderen beiden wurde erst später (531 und 533) vollendet. Also ist der Drei-Kirchen-Komplex von Süden nach Norden gebaut und erweitert worden. Bei der Kirche der Heiligen Kosmas und Damian musste extra ein Teil des Hügels abgetragen werden. Gerade in dieser Kirche ist der formidable Mosaikfußboden mit seinen geometrischen Figuren und Tierdarstellungen wunderbar erhalten. Bei den Mosaiken vor dem Altarraum ist in der Mitte eine Inschrift angebracht, die berichtet, wem sie geweiht ist. Die Inschrift wird flankiert von zwei Darstellungen: Zur Linken sieht man den Stifter der Kirche abgebildet, einen gewissen Theodor, und zur Rechten dessen Frau Giorgia.
Im Südwesten von Gerasa stehen die Ruinen zweier weiterer Kirchen. Die eine war den Heiligen Peter und Paul gewidmet. Die andere war eine von einem reichen Stadtbürger gestiftete Gedächtniskirche zum Andenken an seine Familie. Beide Kirchen stammen aus dem 6. Jahrhundert. Interessant ist auch die Synagogenkirche westlich des Artemis-Tempels. Es handelt sich um die Reste eines antiken Tempels, der später im 3. oder 4. Jahrhundert zur Synagoge und schließlich im 6. Jahrhundert zur Kirche umgebaut wurde.
Man könnte noch erheblich mehr besichtigungswürdige Bauwerke aufzählen, die Gerasa zu bieten hat. Sie alle haben gemeinsam, dass zumeist nur die Grundmauern und einige Säulen aufrecht stehen. Die oberen Stockwerke oder Dächer fehlen zumeist. Auch von den Häusern der einfachen Stadtbürger ist wenig erhalten. Jenseits der breiten Prachtstraßen und großen Plätze muss man sich das antike Gerasa mit engen Gassen, dichter Besiedlung und überfüllten Straßen vorstellen, um ein realistisches Bild davon zu bekommen, wie die Stadt im klassischen Altertum aussah. Während Orte wie Petra dazu geeignet sind, sich ein Bild über die prächtige Gräberwelt zu machen, eignet sich Gerasa dazu, eine Vorstellung von der griechisch-römischen Stadt im Vordern Orient zu bekommen. Auf jeden Fall sollte man sich für die Besichtigung mindestens einen halben Tag, besser noch einen ganzen Tag Zeit nehmen.