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Ewige Bindung: Ägypten und der Nil

Wie kaum ein anderes Land ist Ägypten von einem einzigen Fluss abhängig. Der Nil ist Ägyptens Lebensader, eine Flussoase inmitten der Wüste. An seinen Ufern entstand eine der ältesten Zivilisationen der Menschheit.

Niltal und Wüste vom Flugzeug gesehen
Niltal und Wüste vom Flugzeug gesehen - © STERN TOURS

Mitten in die kurze Regierungszeit des ägyptischen Präsidenten Muhammad Mursi fiel eine außenpolitische Krise zwischen Ägypten und Äthiopien. Es war von einem möglichen Krieg die Rede. Die Emotionen waren in beiden Ländern aufgebracht. Was war geschehen?

Äthiopien plant einen riesigen Staudamm. Nach dem Vorbild des chinesischen Drei-Schluchten-Staudammes soll nahe der Grenze zum Sudan der Blaue Nil aufgestaut werden.
Die Bauarbeiten haben bereits 2011 begonnen. 2017 soll der „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ fertig gestellt sein. 170 Meter hoch und 1,8 Kilometer lang soll die Staumauer werden. Äthiopien erhofft sich nicht nur die Speicherung des für die Trockenzeit benötigten Wassers, sondern auch die Erzeugung von genügend Strom, um die heimische Wirtschaft anzukurbeln und Energie zu erportieren.

Von Mai bis September ist Regenzeit im äthiopischen Hochland. Das meiste Wasser sammelt sich in den Seen, wie dem Tana-See. Von dort fließt der Blaue Nil durch die Gebirgsschluchten Äthiopiens in die Tiefebenen des Sudan. Bei Khartum vereinigt er sich mit dem Weißen Nil, der vom Viktoriasee sowie den Bergflüssen des Ruwenzori-Massivs in Uganda und den Luvironza-Bergen in Burundi gespeist wird. Weißer und Blauer Nil sind die beiden Hauptquellflüsse des Nil.

Niltal und Wüste mit Schwarzes und Rotes Land
Niltal und Wüste mit Schwarzes und Rotes Land - © STERN TOURS

Für Ägypten sind Staudämme südlich des eigenen Hochdammes von Assuan ein Albtraum. Denn kein Land ist mehr auf den Nil angewiesen als das Wüstenreich Ägypten. Der Nil ist die Lebensader dieses bevölkerungsreichsten arabischsprachigen Landes. Ein Abschneiden des Wasserlaufes hätte für Ägypten die Wirkung einer Massenvernichtungswaffe. Das Land wäre nicht mehr existenzfähig. Zwar hat dies niemand vor, doch allein die Vorstellung, dem Nil würde ein beträchtlicher Anteil des Wassers entzogen werden, löst in Ägypten schwere Bedenken aus.

Ohne den Nil wäre Ägypten trocken und dünn besiedelt wie Libyen

Die Bedeutung des Nil für Ägypten lässt sich ermessen, wenn man es mit dem Nachbarland Libyen vergleicht. Ägypten ist rund 1 Million Quadratkilometer groß. Libyen hat eine Fläche von 1,77 Millionen Quadratkilometern. Beide haben dasselbe Klima. Doch während in Libyen nur rund 6 Millionen Menschen leben, sind es in Ägypten mittlerweile fast 90 Millionen. 95 Prozent der Ägypter leben im Flusstal des Nil und im Nildelta.

Der Nil bei Luxor
Der Nil bei Luxor - © STERN TOURS

In Libyen gibt es keinen großen Fluss und kein grünes Flusstal. Lediglich die schmalen fruchtbaren Küstengebirgsstreifen der Kyrenaika und ein paar grüne Oasen in Tripolitanien und der Sahara ermöglichen auskömmliche Land- und Viehwirtschaft. Wie überall in Nordafrika und Vorderasien gibt es hier die Wadis, trockene Flussläufe, die nur an wenigen Tagen im Jahr Wasser führen. Auf libyschem Terrain ist die Ernährung und Wasserversorgung einer größeren Bevölkerung wie jene Ägyptens nicht möglich. Und Ägypten wäre ohne den Nil ebenso gering besiedelt wie Libyen.

Ägypten ist ein altes Agrarland und lebt von der Flussoasenwirtschaft

Ägypten ist ein Geschenk des Nil, wie es schon in der Antike der griechische Historienschreiber Herodot ausdrückte. Während die Libysche und Arabische Wüste das Refugium der Nomaden und Beduinen waren, gelten das Flusstal und das Delta des Nil seit jeher als Land der Bauern, der Fellachen. Bis zur Einführung der modernen, industrialisierten Landwirtschaft und der Errichtung der gewaltigen Staudämme bei Assuan – der alte Damm wurde 1902 fertig gestellt, der moderne Hochdamm 1971 – hatte sich das Leben der Fellachen seit Jahrtausenden kaum verändert.

Traditionelle Lehmziegelhütten an einem Seitenkanal des Nil
Traditionelle Lehmziegelhütten an einem Seitenkanal des Nil - © STERN TOURS

Ob Pharaonen, römische oder byzantinische Kaiser, arabische Kalifen oder Mamluken-Sultane, osmanische Paschas oder britische Kolonialbeamte das Land beherrschten – das Leben der Fellachen folgte dem Rhythmus des Nil und blieb in seiner Struktur beständig. Damit unterschied sich die bäuerlich-ägyptische Volkskultur scharf von den beduinischen Traditionen der arabischen Halbinsel oder der Berberkultur der Sahara.

Selbst heutzutage, im Industriezeitalter, lebt noch ein Viertel der ägyptischen Bevölkerung von der Landwirtschaft. Sie ist neben dem Tourismus eine der wichtigsten wirtschaftlichen Grundlagen des Landes.

Ägyptens neuer Nil: das Toshka-Projekt in der westlichen Wüste

Wie sehr Ägypten noch heute auf die Landwirtschaft fixiert ist, demonstriert das Land mit seinem größten Prestige-Projekt, dem Scheich-Zayid-Kanal zur Toshka-Senke in der westlichen Wüste. Anstatt für die Modernisierung der bestehenden Infrastruktur zu sorgen, den weit verbreiteten Analphabetismus zu überwinden, die Bildungsausgaben zu erhöhen und Industrie anzusiedeln, denkt die ägyptische Regierung noch in Kategorien der alten Zeit. Mehr Einwohner brauchen mehr Landwirtschaft, so ihr Kalkül. Weil das Niltal übervölkert ist, braucht Ägypten einen zweiten Nil.

Was steckt hinter diesem Bauvorhaben? Geplant und teilweise bereits umgesetzt ist eine Abzweigung des Wassers vom Nasser-Stausee. Mittels einer unter Hosni Mubarak errichteten gigantischen Pumpstation wird Wasser aus dem See gepumpt. Von dort fließt es über einen mit Beton und Zement abgedichteten künstlichen Kanal in die westliche Wüste. In der Toshka-Senke soll es aufgestaut werden. Von dort aus wird das Wasser nach modernen Methoden über künstliche Felder gesprüht. Finanziell unterstützt wird das Projekt von Privatanlegern aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Während Kritiker die Wirtschaftlichkeit des Megaprojektes anzweifeln und auf ökologische Probleme hinweisen, bereitet der Wasserstand des Nasser-Sees Sorgen. Denn falls die Tendenz zu großen Dammbauten in Äthiopien und anderen Nilanrainerstaaten anhält, könnte der Nasser-Stausee nicht mehr genügen Wasser für sowohl den ägyptischen Nil als auch für das Toshka-Projekt aufbringen. So wird es zumindest in Kairo befürchtet.

Flüsse im Altertum: Die ersten Hochkulturen waren Stromkulturen

Wie prägend ein wasserreicher Fluss für das Gedeihen einer Zivilisation sein kann, wird offensichtlich, wenn man einen Blick zurück in die Welt des Altertums wirft. Die uralte Hochkultur der Pharaonenzeit ist hierfür ein Musterbeispiel.

Die ersten Zivilisationen, die sich über das Stadium kleiner landwirtschaftlicher Siedlungen hinausentwickelten, entstanden an großen Flüssen und Strömen. Die organisierte Arbeitsteilung der Felderbewässerung und landwirtschaftlichen Produktion ermöglichte die Ernährung einer größeren Bevölkerung. Es waren Flussoasenlandwirtschaften. Die frühen Hochkulturen entwickelten sich am Nil in Ägypten, im Zweistromland von Euphrat und Tigris sowie am Indus und seinen Nebenflüssen.

In Ägypten entstand auf diese Weise gegen 3000 v. Chr. der erste historische Flächenstaat, das Reich der Pharaonen. Im Süden Mesopotamiens entwickelte sich zur selben Zeit ein Netz von Stadtstaaten, die ebenfalls alle an Flüssen lagen. Am Indus setzte diese Entwicklung um einige Jahrhunderte später ein.

Die Kultur der Pharaonenzeit war die Kultur einer elitären Oberschicht von Priestern und Grundherren. Sie lebten vom Überschuss der Landbevölkerung, die ihr Getreide in die Speicher der Tempel und Paläste bringen mussten. Halbgöttliche Identifikationsfigur war der Pharao.

Zu den vornehmsten Aufgaben Pharaos gehörten die religiösen Rituale. Diese Rituale sollten zum einen die Gottheiten besänftigen und für eine ausreichende Nilflut sorgen, zum anderen symbolisch die Ordnung des Landes herstellen – insbesondere des Agrarlandes. Die „Grenzen Ägyptens zu erweitern und das Chaos zurückzudrängen“ war eine altägyptische Phrase, die sich zwar auch auf das Bezwingen fremder Völker bezog, ursprünglich aber die Wiederherstellung der Ordnung nach der Nilschwemme bezeichnete. Felder mussten neu eingegrenzt, vermessen und bestellt werden, Kanäle mussten ausgehoben oder ausgebessert werden, landwirtschaftliche Siedlungen mussten aufgebaut werden. Kurz: Das Land musste urbar gemacht werden.

Nil und Sonnenlauf waren die Achsen des altägyptischen Kosmos

Der Nil war Kompass der ägyptischen Zivilisation. Er fließt von Süden nach Norden. Die Sonne wandert von Osten nach Westen. Schon im Altertum waren Sonne und Fluss die beiden Achsen des ägyptischen Raumzeitbewusstseins. Die Sonne bestimmte das Kalenderjahr und den Tagesrhythmus, der Nil die drei ägyptischen Jahreszeiten:

Achet - die Jahreszeit der Nilschwemme: Im Hochsommer begann die Jahreszeit der Nilüberschwemmung. Sie ist die unmittelbare Folge der Monsunregen im Hochland von Äthiopien. Im Juni traf die Nilschwemme in Ägypten ein und erreichte ihren Höchststand im September. In der Saison der Nilschwemme war fast das ganze Flusstal mit Wasser bedeckt. Nur die auf Erhöhungen errichteten Dörfer und Tempel ragten wie Inseln aus einem Meer. Die Nilschwemme wurde als Gottheit namens Hapi verehrt. Ihr verdankten die Ägypter die Fruchtbarkeit des Niltals.

Peret – die Jahreszeit des Aufgehens der Saat: Nach dem Rückzug der Nilschwemme fand der Nil in sein Flussbett zurück. Dies war die Jahreszeit des „Herauskommens“, das heißt des Auftauchens des Landes aus dem sich zurückziehenden Nilwasser und dem Aufgehen der Saat. Im Spätherbst und Winter war das Niltal ergrünt.

Schemu – die Jahreszeit der Ernte: War das Jahr von einer hohen Nilschwemme gesegnet, konnte im Frühjahr eine reiche Ernte eingeholt werden. Zum Frühsommer hin folgte die Trockenzeit. Der Nil floss als dünnes Rinnsal durchs Flussbett. An Furten konnte der Fluss zu Fuß durchquert werden. Im seichten Wasser warteten hungrige Krokodile auf das Vieh, das zur Tränke getrieben wurde.

Wenn die Nilschwemme ausblieb: Hungerkatastrophen in Ägypten

Der Frühsommer war die Zeit des gebannten Wartens auf die nächste Nilschwemme. An den Nilometern, den alten Wasserstandsmessern, verzeichnete man täglich die Entwicklung des Flusspegels. In Assuan, der südlichen Stadt Ägyptens, wurde der Anstieg zuerst erwartet. Fing der Pegel an zu steigen, war die Erleichterung groß, doch konnte noch keine Entwarnung gegeben werden. Erst wenn der Wasserpegel seinen Maximalwert erreicht hatte, war das Ausmaß der Nilschwemme erfasst. Ab dann wussten die Katasterbeamten, mit welchen Ernteerträgen in der kommenden Saison zu rechnen war.

Alte Aufzeichnungen aus dem 3. und 2. Jahrtausend v. Chr., wie etwa Annalensteine oder Tempelinschriften, verzeichneten die Jahre mit Angaben der Höhe der Nilschwemme. War die Nilschwemme zu niedrig, so war mit Versorgungsengpässen, sogar mit Hungersnöten zu rechnen. War die Nilschwemme zu hoch, kam es zu Überflutungen und Zerstörungen. Menschen und Tiere konnten in den Fluten ertrinken, ganze Dörfer konnten fortgeschwemmt werden.

Einzelne Ausnahmejahre konnten verkraftet werden. Durch ein ausgefädeltes Abgaben- und Umverteilungssystem waren die Vorratsspeicher gefüllt, von denen man in schlechten Jahren zehren konnte.

Fiel über mehrere Jahre die Nilschwemme zu niedrig aus, war dies eine Katastrophe. Dies waren Zeiten großer Hungersnöte apokalyptischen Ausmaßes. Ägypten war schon im Altertum – verglichen mit den benachbarten Regionen – dicht besiedelt. Hungersnöte konnten bürgerkriegsähnliche Ausschreitungen zur Folge haben.

Originäre Selbstwahrnehmung in einer isolierten Flussoasenlandschaft

Wie die alten Ägypter sich selbst und ihre Welt sahen verrät die altägyptische Sprache, deren erste schriftliche Aufzeichnungen aus dem späten 4. Jahrtausend v. Chr. stammen. Zu jener Zeit war die Welt gering bevölkert. Kulturen existierten isolierter als heute. Insbesondere Ägypten war als Flussoasenland von feindlichen Wüsten umgeben.

Wie viele indigene Völker alter Zeiten bezeichneten sich die alten Ägypter selbst schlicht als „Menschen“. Oder sie sprachen von sich als „Schwarzländer“, jene „die auf dem schwarzen Land“ leben. Das „Schwarze Land“ war ein Ausdruck für das – ihrer Meinung nach – eigentliche Ägypten. Damit nahmen sie Bezug auf die schwarze, fruchtbare Erde im Niltal, die mit der Nilschwemme aus Äthiopien herangetragen und an den Ufern abgelagert wurde. Denn außerhalb des Flusstals war der Boden sandig, felsig und wüstenfarben.

Die Ägypter sprachen von der Wüste als dem „Roten Land“. Das altägyptische Wort für „rot“ schloss alle rötlich schimmernden Farbtöne ein, auch rosa (Flamingos) und rötlich-sandfarben (Wüste). In Ägypten ist der Unterschied zwischen dem „Schwarzen Land“ und „Roten Land“ markant. Man kann am Rande des Flusstales mit einem Fuß auf dem schwarzen Ackerboden und mit dem anderen auf dem sandigen Wüstenboden stehen. Oft nannten die Ägypter ihr Heimatland schlicht „Ackerland“, während die Wüste das „Felsenland“ oder „Bergland“ war. Die Nomaden der Wüste wurden übrigens als jene, „die auf dem Sand sind“ bezeichnet.

Niltal und Wüste mit Schwarzes und Rotes Land
Niltal und Wüste mit Schwarzes und Rotes Land - © STERN TOURS

Im großräumigen Kontext sprachen die alten Ägypter von ihrem Reich auch als „die beiden Länder“. Damit waren die zwei Hauptlandschaften gemeint: Das enge Flusstal des Nil war das „schmale Land“, und das Flussdelta war das „breite Land“. Die Meere, das Mittelmeer im Norden und das Rote Meer im Osten, nannten die Ägypter „das große Blau“, wobei das altägyptische Wort für blau das gesamte Farbspektrum von blau über türkis bis grün einschließt – ein Phänomen, das auch in anderen alten Kulturen, wie beispielsweise Japan, anzutreffen ist.

Die Verbundenheit des Volkes mit dem Fluss: Ägyptische Traditionen sind älter als Judentum, Christentum und Islam

Die oberflächliche Arabisierung der ägyptischen Bevölkerung durch die Annahme einer fremden Sprache und die Übernahme anderer Religionen, wie das Christentum (Kopten) und den Islam, verdecken nur zum Teil den Urquell ägyptischer Kultur.

Während in den arabischen Dialekten der Ägypter noch koptische – und somit auch altägyptische – Reminiszenzen anzutreffen sind und auch die Mentalität der Ägypter sich grundlegend von jenen der Golfaraber oder Syrer unterscheidet, so sind es insbesondere die Traditionen auf dem Lande, die Details im Leben der Fellachen, die an die Volkskultur und Denkformen der Pharaonenzeit anklingen. Bis heute ist die Verbundenheit zur Heimatstadt, zum Dorfe, zur heimischen Erde und zum Nil ein Charakteristikum der ägyptischen Fellachen.

Autor dieses Artikels: Mirco Hüneburg

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