Auf dem Nil
In der Bar zum Krokodil (auf dem Nil, auf dem Nil, auf dem Nil) herrscht gähnende Leere. Frau Potiphar ist nirgendwo zu sehen. Alles sitzt auf dem Oberdeck, in Sesseln aus Korb und Polster. Zu trinken gibt es auch. Die Aussicht ergreift. Auf beiden Seiten glitzert das bräunlich-gelbe Band des Nils (Klischee für Schöngeister), dahinter Grün, mal breiter, mal schmaler (Lebensbereich für Fellachen), Landleben zum Greifen nahe (Plattitüde für Romantiker), in der Ferne Hügelketten (Traumzone für Weltreisende).
Es geht stromauf, gemächlich. Kein einziges Krokodil lässt sich blicken. Sind nur noch im Stausee hinter den hohen Dämmen zu finden. Auch die Pferde, die dem Fluss ihren Namen schulden (oder umgekehrt), haben längst das Weite gesucht. Die „Sudan“ wird tatsächlich von Schaufelrädern angetrieben, Nostalgie pur. Die Kabinen verbreiten einen luxuriösen Charme dezenten Verfalls. Im holzgetäfelten Speisesaal wird vorzügliches Essen gereicht (französische Küche), dazu manierlicher Wein (lokale Provenienz). Agatha Christie soll früher einmal mitgereist sein. Wenn, dann nur eine kurze Strecke. Kaum vorstellbar, dass jemand, der längere Zeit an Bord bleibt, auf die Idee kommen kann, irgendwelchen Passagieren nach dem Leben zu trachten. Jedenfalls fand der Mord auf dem Nil statt, filmisch. Was und wieviel auf der Sudan gedreht wurde, bleibt unklar.
Das englische Familienoberhaupt bereitet sich wieder mit dicken Wälzern auf seine Fragen bei der nächsten Tempelvisite vor. Seine Frau strickt. Ihre erwachsenen Kinder braten in der Sonne. Das französische Doppelpaar versprüht wie immer ausgelassene Stimmung. Zwei ältere Schweizer schweigen sich an, die beiden anderen signalisieren Gesprächsbereitschaft. Das holländische Paar besucht weder Tempel noch Gräber der Pharaonen. Sie machen die Reise zum fünften Mal. Es ist unendlich beschaulich.
Atmet der Nil? Nur für literarische Reiseführer. Jedenfalls bläst eine leichte Brise. Fahrtwind? Sowas weht einem vielleicht beim Radeln auf dem platten Land oder in Gondeln auf hohen Bergen um die Ohren. Fahrtwind, rein physikalisch gesehen: Luftmasse, die von einem sich relativ zu ihr bewegenden Subjekt als Widerstand wahrgenommen wird. Stimmt, das Schiff macht Fahrt.
Das Feuer in der Dampfmaschine faucht diskret. Schaufelräder plätschern im Wasser. Aber kann man es ganz prosaisch fahren nennen? Kilometerlange Landschaftsinstallationen ziehen wie Filmkulissen vorbei. Ziel ist kein bestimmter Ort sondern jeder Moment, er uns entgegenkommt.
Das Thermometer zeigt 29° Celsius, strahlende Sonne, blaue Himmelswölbung, an den Rändern gelblich trüb, angestaubt vom Wüstensand. Am Wasser hohes Schilf und hellbraune Hütten aus Rohr, dahinter weite Zuckerrohrfelder und Maisäcker. Schwarze Rinder grasen auf grünen Sandbänken, weiße Reiher stelzen durch seichtes Wasser. Der erste Ibis wird gemeldet. Häuser zeigen dem Fluss knallbunte Fassaden, dem Land blassgraue Lehmwände. Vogelscharen zwitschern in Mangogärten. Wasserhyazintheninseln treiben nilab. Ein Esel trippelt eilig nach Hause, rüttelt das Kind auf seinem Rücken anständig durch. Die Sundowner werden angerichtet. Ra gibt die Zeit an Thot weiter.
MS Sudan vibriert unmerklich. Motor Ship? SS sagt der Guide, Steam Ship. Nein, sagt der Engländer, SS steht für Sailing Ship. Also doch MS? Aber Dampfmaschine! Hat sogar mal König Faruk gehört, der Steamer. Unser oller Wilhelm Zwo würde ganz schön gucken. Untertanen, die auf Staatsjachten übern Nil schippern. Zu seiner Zeit hätte es das nicht gegeben.
Autor: Werner Münchow