Wenn man Ägypten von der Luft oder von einem Satellitenbild aus betrachtet, dann wirkt die Flussoase des Nils wie eine Lotusblume: Der Nil ist der Stil der Blume und das Delta die Blüte. An der Seite zweigt eine Knospe ab. Das ist das Faiyum.
Die Faiyum-Oase (Wahat il-Fayyum, Al-Fayyum, Faijum) hat eine Fläche von rund 173.000 Hektar und liegt rund 100 Kilometer südwestlich von Kairo. Die Landschaft im Faiyum präsentiert sich den Besuchern als grünes, von Kanälen durchzogenes Landwirtschafts-Paradies mit Dattelpalmen, Feldern, Äckern, Gemüse- und Obstgärten.
Mancherorts sieht man noch die alten Schöpfwerke, um Wasser von den Gräben auf die Felder zu lenken, wie den Schaduf, der Wasser mittels Hebewirkung schöpft, oder das von Eseln oder Rindern angetriebene Wasserrad (Saqiya). Meistens werden jedoch moderne Motorpumpen eingesetzt.
In Medinet el-Faiyum, der Hauptstadt des Faiyum, gibt es noch vier alte große Wasserräder am Bahr Yusuf. Der Bahr Yusuf (Josefskanal, mit biblischen Bezug zu Josef) ist ein uralter Kanal, der Wasser vom Nil in die Senke der Oase leitet.
Das Bewässerungssystem mit seinen Kanälen, Rückhaltebecken, Dämmen und Deichen geht zumindest teilweise auf die Zeit des Mittleren Reiches zurück, als vor allem Pharao Amenemhet (12. Dynastie) den antiken, von Krokodilen und Schilfsümpfen geprägten Moeris-See regulieren, Sümpfe entwässern und Deiche anlegen ließ, um ausgiebige Landwirtschaft zu ermöglichen und die Residenz seiner Pyramidenstadt dort anzulegen.
Im westlichen Abschnitt des Faiyum, am Rande der Libyschen Wüste, liegt der Qarun-See (Buhairat Qarun bzw. Birket Qarun). Mit seinen rund 230 Quadratkilometern Wasserfläche ist er der Rest des antiken Moeris-Sees. Dieser war damals ein großes Süßwasserreservoir, das durch einen Seitenableger des Nils gespeist wurde und Wasser der Nilschwemme zurückhielt. Heute allerdings ist das Wasser des Sees salzhaltig. Daran sind die Verdunstung und der fehlende Zufluss von Frischwasser schuld.
Trotzdem ist der See mit seinen Ufern nach wie vor reich an Flora und Fauna und deswegen zum Naturschutzgebiet deklariert. Vogelkundler und Naturliebhaber kommen hier auf ihre Kosten, da der See zahlreiche Zugvögel wie zum Beispiel Flamingos, Reiher und Pelikane anzieht. Vom Ruderboot oder von der Feluke aus kann man die Natur an den Ufern beobachten, mit der Wüstenlandschaft am Horizont.
Der See ist es auch, welcher der Oase den heutigen Namen gab: Denn seit dem Neuen Reich wurde die Region auf Ägyptisch "Pa-Jam" genannt, koptisch "Pa-Jom", was soviel wie "das Meer" heißt. Wir kennen solche Lautverschiebungen auch aus unserem Sprachraum (Pater-Vater, Ship-Schiff).
Archäologische Fundorte und Sehenswürdigkeiten
Am Rande der Faiyum-Oase gibt es zahlreiche archäologische Stätten. Darunter sind mehrere Siedlungshügel mit den Spuren alter Orte aus der Pharaonenzeit und solchen, die noch in der römisch-griechischen Antike bestanden, wie zum Beispiel Medinet Watfa (Philoteris), Batn Ihrit (Theadelphia), Qasr el-Banat (Euhemeria), Medinet Maadi (mit prähistorischen Funden), Kom Silawi, Kom Talit, Tell el-Marakka, Medinet el-Nihas (Magdola), Kom el-Khamsin, Umm el-Breigat (Tebtunis/Tebtynis), Ehnasija el-Medine (Herakleopolis, schon am Niltal), Ghurab (Moeris), Sedment el-Gebel, Kom Tima, weiter zum Niltal hin El-Lahun (Illahun, Kahun, mit der Pyramide von Sesostris II. am Übergang vom Niltal zur Faiyum-Oase) sowie im Zentrum der Oase Medient el-Faiyum und Kiman Faris (Krokodilopolis), weiter nördlich Tell Shinshana, Kom el-Hamam, Kom Auschim (Karanis) und viele mehr.
In Krokodilopolis wurde der Krokodilsgott Sobek (griech. Suchos) verehrt. Der Ort war somit ein kultisches Pendant zum Sobek-Kult in Kom Ombo in Oberägypten. Archäologische Hauptsehenswürdigkeiten für Touristen sind vor allem die Nekropole und Pyramide von Hawara, die auf Pharao Amenemhet III. (19. Jahrhundert v. Chr.) zurückgeht, sowie die Stätte von Kom Auschim (Karanis) mit ihren Ruinen und Funden aus der Zeit der Ptolemäer und Römer. In der Tempel-Anlage von Karanis wurden die Zwillings-Gottheiten Pnepheros und Petesuchos verehrt. Dabei handelt es sich um lokale Aspekte des Gottes Suchos/Sobek. Aus derselben Zeit stammt die unvollendete Tempelanlage von Qasr Qarun (der alten Militärsiedlung Dionysias) an der Südwestseite des Sees. Kom Auschim und Qasr Qarun gehören zu den schönsten archäologischen Stätten des Faijum.
Mumienporträts aus den Nekropolen des Faiyum
Aus der Region des Faiyum stammen viele der weltberühmten Mumien-Porträts, das heißt realistische, auf Holztafeln gemalte Bilder von Verstorbenen, die anstelle der plastischen Mumienmasken verwendet wurden, wie man sie aus älteren Bestattungen kennt.
Die Funde im Faiyum stammen aus Nekropolen wie zum Beispiel Hawara und Antinoopolis. Diese Art von Porträt-Stil war hauptsächlich in der römischen Zeit in Ägypten üblich, also etwa vom 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. Was sie von den alten Mumienmasken unterscheidet, ist insbesondere die Darstellungen der Gesichter der Verstorbenen. Denn sie wurden in einem lebensechten Stil aufgemalt. Oftmals blicken die Verstorbenen dem Betrachter direkt in die Augen, weshalb sie einen sehr lebendigen Charakter haben.
Die ersten Porträts dieser Art wurden in den 1880er Jahren vom britischen Archäologen Flinders Petrie in Hawara entdeckt. Daher spricht man von Faiyum-Porträts, auch wenn es ähnliche Funde auch in anderen Orten Ägyptens gab.
Das Tal der Wale
Für Geologen und Paläontologen und alle Reisenden, die sich für die Ur- und Vorzeit interessieren, ist das weite Wüstengebiet westlich und nördlich des Qarun-Sees eine Erkundung wert. Dort gibt es zahlreiche Felsformationen, teils mit bizarrer Form, die anschaulich die geologischen Schichtungen aufzeigen. In dieser Region wurden viele Fossilien gefunden. Herausragend sind vor allem die Funde von Skeletten prähistorischer Wale im Wadi el-Hitan (Tal der Wale). Diese außergewöhnlichen Fossilien stammen aus der Zeit, als vor rund 40-50 Millionen Jahren die Region zum Rest des alten Tethys-Meeres gehörte.
Das Tethys-Meer war ein prähistorischer Ozean, der vor rund 250 Millionen Jahren im Mesozoikum während der Epoche der Trias entstand, als der Superkontinent Pangäa auseinanderbrach. Das Tethys-Meer trennte die alten Kontinente Laurasia im Norden und Gondwana im Süden. Im Zuge der andauernden Kontinentaldrift und der Kollision tektonischer Platten, insbesondere durch die Nordbewegung der afrikanischen und indischen Platte, verschwand das Tethys-Meer größtenteils vor etwa 10 bis 20 Millionen Jahren im Miozän. Reste des alten Tethys-Meeres sind heute das Mittelmeer, das Schwarze Meer und das Kaspische Meer.
Aus diesem Grunde kann man im Wadi el-Hitan Reste von Walen, Fischen sowie fossile Muscheln finden. Die Wal-Skelette sind von naturhistorischer Bedeutung. Denn sie zeigen diese Säugetiert-Ordnung in einem evolutionären Übergangs-Stadium vom Landtier zum Wassertier.
Auswahl weiterführender Literatur:
Arnold, Dieter, "Fajjum", in: Lexikon der Ägyptologie, Band II, Sp. 87-93.
Arnold, Dieter, "Qasr Qarun", in: Lexikon der ägyptischen Baukunst, Zürich 1994, S. 208 f.
Barbara Borg: Mumienporträts. Chronologie und kultureller Kontext, Mainz 1996.Helck, Wolfgang, "Tebtynis", in: Lexikon der Ägyptologie, Band VI, Sp. 245-246.
Kakosy, Laszlo, "Krokodilskulte", in: Lexikon der Ägyptologie, Band III, Sp. 801-811.
Wrede, Henning, "Mumienporträts", in: Lexikon der Ägyptologie, Band IV, Sp. 218–222.
Schwartz, Jacques, Henry Wild und Alexandre Badawi: Qasr-Qarun/Dionysias (Grabrungsbericht 1948, erschienen in Kairo 1950, sowie Grabungsbericht 1950, erschienen in Kairo 1969).